Wie kann die Schnellkraft langfristig verbessert werden?
Die Frage der optimalen Verbesserung der Schnellkraft ist wohl eines der heiß diskutiertesten Themen im Sport. Hier gibt es unterschiedlichste Auffassungen und Herangehensweisen. In unserer Reihe „Athletiktraining im Fokus“ haben wir uns für eine wissenschaftliche Auslegung entschieden – sodass ihr für euer persönliches Training oder die Arbeit mit euren Schützlingen den bestmöglichen Trainingserfolg sicherstellen könnt.
Sehen wir uns eine häufig verwendete Methode in der Praxis an. Das Training mit mittleren Lasten. Dies könnte zum Beispiel beim Bankdrücken bedeuten – die Stange so schnell wie möglich hinauf und hinunter beschleunigen zu wollen. Oder aus einer Kniebeugeposition so explosiv wie möglich in die Streckung nach oben zu kommen. Also bei dieser Methodik wird die Last, welche meist sehr gering ist, da häufig die bloße Langhantelstange [20kg] verwendet wird – mit einer maximalen Schnelligkeit nach oben katapultiert. Außerdem wird oft geraten, Liegestütze möglichst schnell durchzuführen. Sind diese Methoden langfristig wirksam, um schneller zu werden? Die kurze Antwort: Nein!
Stange explosiv nach oben katapultieren und schnelle Liegestütz wenig wirksam
Das Training der physikalischen Leistung wird in der Literatur kontrovers diskutiert und in der jüngeren Vergangenheit wurde das Training mit mittleren Lasten an der Muskelleistungsschwelle öfter angewandt. Werden jedoch Studien zu diesem Thema betrachtet, so ergibt sich ein anderes Bild. Izquierdo et al. (2002) haben bei einer Studie mit Gewichthebern, Handballern, Mittelstreckenläufern und einer Kontrollgruppe belegt, dass die physikalische Leistung bei Halb-Kniebeugen bei den (p<0.05) Gewichthebern, gefolgt von den Handballern, am höchsten war. Da Gewichtheber ihre Stärken in den Beinen haben und dort die besten Resultate gezeigt haben, zeigt dies, dass die Leistung der Muskelleistungsschwelle u.a. von dem Maximalkraftniveau des Sportlers abhängt. Moss et al. (1997) führten ein neunwöchiges Krafttraining in drei Gruppen, welche in Trainingsintensitäten mit geringen, mittleren und hohen Lasten unterteilt wurden, durch. Die physikalische Leistung verbesserte sich in den jeweiligen Gruppen bei der jeweiligen Intensität. Jedoch konnte nachgewiesen werden, dass die Gruppe, die mit den schwersten Lasten arbeitete, auch Verbesserungen bei der Leistung mit mittleren Lasten verzeichnen konnte. Diese Resultate unterstreichen den großen Einfluss der Maximalkraft auf die Schnellkraft. Infolgedessen kann von diesen Erhebungen abgeleitet werden, dass die Schnellkraft langfristig durch die bloße schnelle Ausführung von Bewegungen nicht optimal ausgebildet werden kann. Demnach wären schnell ausgeführte Liegestütz, die Beschleunigung eines Therabands oder einer Langhantel – egal ob bei Kniebeugen oder Bankdrücken – unwirksam.
Grundlage für jede Bewegung sind das zentrale Nervensystem und die Muskulatur
Wenn ihr in ein Krafttraining geht, solltet ihr euch jedenfalls merken, dass wir unserem Organismus zwei grundlegende Reize setzen. Zum einen auf neuronaler/zentralnervöser Ebene. (Genauer gesagt aktiviert unser zentrales Nervensystem motorische Einheiten, die für die Stimulation des Muskels verantwortlich sind.) Und zum anderen auf morphologischer Ebene – diese stellt die Anpassung der Muskulatur nach einem Krafttraining dar – sprich das Muskelwachstum nach wiederholtem Krafttraining. Nun zeigen Studien (Baker & Newton, 2006; Moss et al., 1997) sehr klar, dass das Training mit mittleren Lasten weder morphologisch noch neuronal zu langfristigen Anpassungen führen kann. Außerdem unterstreicht die Wissenschaft wiederholt die Spezifität des zentralen Nervensystems. - Neuronal werden Spieler:innen also genau das lernen – womit sie konfrontiert werden. Folglich würde erlernt werden, mit mittleren Lasten schnell zu arbeiten – also man würde besser werden - schnelle Liegestütz durchzuführen, eine Langhantel beim Bankdrücken oder bei den Kniebeugen beschleunigen zu können. – Für die langfristige Ausbildung der Schnellkraft scheint die Arbeit mit mittleren Lasten jedoch sinnbefreit zu sein. Wollt ihr also eure Schnellkraft oder die eurer Athlet:innen verbessern, solltet ihr mit diesen Methoden nicht eure Zeit verschwenden.
Big Five Modell der Schnellkraft im Tischtennis
Wenn die bloße schnelle Ausführung der Übungen nicht ausreicht – wie sollen wir denn dann vorgehen? In der Sportwissenschaft hat sich in Sportarten, in denen die Schnellkraft ein zentrales Kriterium darstellt, ein Trainingsbogen zur bestmöglichen Entwicklung dieser Fähigkeit etabliert. Wir haben diesen Bogen - der ursprünglich aus dem Powerlifting kommt und in schnellkräftigen Sportarten wie Leichtathletik, Judo, Boxen usw. angewendet wird, speziell für den Tischtennissport editiert. Wir bezeichnen die Herangehensweise als „Big Five Modell der Schnellkraft im Tischtennis." Dieses Modell besteht aus fünf voneinander abhängigen Schritten.
Schritt 1 dieses langfristig ausgerichteten Modells ist der Aufbau der Muskulatur. Dies passiert am Besten durch das sog. Hypertrophietraining. Hierbei sollte im Bereich von acht bis zwölf Wiederholungen gearbeitet werden, um erstmals Muskulatur aufbauen zu können. Dies ist harte Knochenarbeit - jedoch auch einfach - jede und jeder kann Muskulatur aufbauen. Hierbei spielen natürlich eine proteinreiche Ernährung und Schlaf eine wichtige Rolle.
Nun möchten wir in den nächsten Schritten dieser Muskulatur beibringen, schnell arbeiten zu können. Die Sportwissenschaft bezeichnet dies als erhöhte Aktivierung motorischer Einheiten in einem kurzen Zeitfenster. Um dieses Ziel erreichen zu können bedarf es drei weiterer Schritte.
Schritt 2 stellt das gezielte explosive Training in einem kurzen Zeitfenster dar. Dieses erfolgt über das Training mit maximalen Lasten. Demnach sollte in Schritt 2 – nach ausreichend aufgebauter Muskulatur in Schritt 1 – mit dem Einwiederholungsmaximum (One-Repetition-Maximum – 1RM) gearbeitet werden. Besonders die Ganzkörperübung Kniebeugen eignet sich gut, da der Organismus lernt, Beinstrecker, Beinbeuger, Rückenstrecker, Wadenmuskulatur und den gesamten Rumpf hochgradig zu aktivieren – da diese Muskulatur in einem kurzen Zeitfenster eine hohe Last bewältigen muss. Dieses Training führt zu einem verbesserten – sprich beschleunigten Aktivierungsmuster der Muskulatur. Der zweite Teil dieses Schritts besteht aus den Gewichtheberübungen Umsetzen, Stoßen und Reißen. Diese Übungen eignen sich hervorragend um die Schnellkraft verbessern zu können. Das Ziel dieser Übungen ist nicht die Tischtennisspieler:innen stark zu machen, sondern ihnen beizubringen die Kraft möglichst schnell entfalten zu können. Hier kann mit zunehmendem Fortschritt sukzessiv Gewicht erhöht werden. Dies würde dazu beitragen, dass das ZNS eine höhere Anzahl an motorischen Einheiten rekrutieren könnte und dadurch die Schnellkraft verbessern könnte.
Schritt 3 hat ebenso das Ziel einer hochgradigen Aktivierung in einem kurzen Zeitfenster. Diesmal jedoch mit dem eigenen Körpergewicht – dies bedeutet Springen und Sprinten. Hier kann man kreativ werden. Schritt 3 kann aus diversen Sprungformen wie dem Counter- Movement-Jump, diversen Hoch- und Strecksprüngen, Treppensprüngen und Sprints passieren. Zusätzlich können auch Würfe eingesetzt werden. Wie im vorigen Absatz erwähnt, haben sich aus trainingswissenschaftlicher Sicht in diesem Stadium Trainingsformen ohne Zusatzlast gegenüber dem Training mit mittleren Lasten zur Entwicklung der Leistung bewährt. Ob im heimischen Stiegenhaus, im Wohnzimmer, in der Tischtennishalle oder im Freien – Springen und Sprinten kann man überall. Das Ziel des Schritt 3 ist es, die in Schritt 2 erworbene Fähigkeit der hochgradigen Aktivierung gegen hohe Lasten, nun in der Arbeit gegen geringe bzw. keine Zusatzlasten anwenden zu können. Unsere Spieler:innen sollen also lernen, ihr eigenes Körpergewicht maximal beschleunigen zu können.
Der vorletzte Schritt 4 verfolgt das Ziel, die schnelle Kraftentfaltung in die komplexe Zielbewegung zu transferieren. Das Ziel ist nun final in der Zielbewegung – also beim Tischtennis spielen – hochgradig zu aktivieren. Dieser Transfer gestaltet sich als schwierigster Schritt, da dieser nur auf Erfahrung und nicht auf wissenschaftlicher Evidenz beruht. Ob Hilfestellungen wie Therabänder oder Zusatzlasten während des Trainings an den Knöcheln helfen ist durchaus fraglich, da hier die koordinative Ansteuerung beeinträchtigt wird. Zu empfehlen sind klassische Beinarbeitsübungen wie die Falkenbergübung (Rückhand->Vorhand aus Rückhand->Vorhand) - oder andere Übungen in denen im spezifischen Tischtennisbewegungsmuster ein Weg möglichst schnell zurückgelegt werden soll. Hierbei sollte so praxisnah wie möglich gearbeitet werden.
Schritt 5 sieht nun eine Automatisierung der erworbenen Schnellkraft der vorherigen Schritte in die Tischtennisleistung vor. Demnach sollte die erworbene Fähigkeit nun von den Spieler:innen in Training und Wettkampf eingesetzt werden können und dies sollte eine Verbesserung der allgemeneinen Tischtennisleistung zur Folge haben.
Diese schrittweise Abfolge ist jedoch nicht starr von oben nach unten anzuwenden, sondern bedarf einer Periodisierung, da das Fundament der Muskelmasse aufgebaut oder zumindest erhalten werden soll. Demnach sollte selbstverständlich stets das Tischtennistraining stattfinden und nicht an letzter Stelle stehen, da die Zielbewegung zentraler Teil des Trainingsalltags der Spieler:innen darstellen sollte. Die Idee dieser schrittweisen Weiterentwicklung des Kraftzuwachses, der hochgradigen Aktivierung und des Transfers der schnellen Kraftentfaltung in die Zielbewegung, sollte jedoch in der Trainingsgestaltung berücksichtigt werden, wenn die Schnellkraft von Tischtennisspieler:innen verbessert werden soll.